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Die Lüge von der starken Frau - Warum dieses Bild Frauen nicht hilft.

Autorenbild: sarahwalthersarahwalther

„Die starke Frau“ – Ein Begriff, der mehr belastet als stärkt

 

Immer wieder begegnet uns die Bezeichnung „starke Frau“. Vielleicht hast auch du diesen Begriff schon gehört – als vermeintliches Kompliment, als Anerkennung für deine Unabhängigkeit, deine Widerstandskraft oder dein Durchhaltevermögen. Doch wenn wir genauer hinschauen, zeigt sich, dass hinter dieser Zuschreibung oft problematische gesellschaftliche Erwartungen stehen.

 

Was bedeutet es, eine „starke Frau“ zu sein?

 

Die gesellschaftliche Vorstellung einer starken Frau ist geprägt von bestimmten Attributen:

• Sie ist unabhängig und meistert ihr Leben alleine.

• Sie bleibt standhaft, selbst wenn sie Leid erfährt.

• Sie braucht keine Hilfe und kommt ohne Unterstützung zurecht.

• Sie stellt keine „überhöhten“ Ansprüche an ihr Umfeld.

• Sie hält durch – egal, was passiert.

 

Auf den ersten Blick klingt das nach Resilienz und Selbstbestimmtheit. Doch diese Zuschreibung folgt oft einem problematischen Narrativ: Eine Frau wird dann als „stark“ bezeichnet, wenn sie gelernt hat, Schmerz zu ertragen – ohne daran zu zerbrechen.

 

Die problematische Kehrseite des Begriffs

 

Die Vorstellung der starken Frau romantisiert Leidensfähigkeit und macht Stärke zur Pflicht anstatt zur Wahl. Das hat weitreichende Konsequenzen:

 

1. Stärke als Last statt als Entscheidung

 

Viele Frauen, die als „stark“ wahrgenommen werden, haben sich diese Stärke nicht ausgesucht – sie mussten stark sein. Sie hatten keine andere Wahl.

Vielleicht hast du erlebt, dass niemand für dich eingestanden ist, dass deine Bedürfnisse übersehen oder nicht ernst genommen wurden. Vielleicht hast du gelernt, dass du allein klarkommen musst, weil es sonst niemand für dich getan hat.

Doch ist das wirklich Stärke – oder einfach ein Mechanismus, um zu überleben?

 

2. Unsichtbarkeit von Verletzlichkeit

 

Wer als „stark“ gilt, bekommt oft weniger Raum für Verletzlichkeit.

• Bedürfnisse nach Unterstützung oder Schutz werden übersehen oder abgetan.

• Gefühle wie Überforderung, Trauer oder Angst werden nicht wahrgenommen, weil das Bild der starken Fraudiese Emotionen nicht vorsieht.

• Hilfe wird seltener angeboten, weil die Annahme besteht, dass sie nicht gebraucht wird.

 

Doch Stärke und Verletzlichkeit schließen sich nicht aus. Vielmehr liegt echte Stärke darin, sich beides zuzugestehen.

 

3. Die romantisierte Leidensfähigkeit im Patriarchat

 

Die Vorstellung der starken Frau reiht sich ein in eine lange Tradition patriarchaler Narrative:

• Frauen sollen „durchhalten“, selbst wenn sie Missstände erleben.

• Sie sollen „sich zusammenreißen“, statt sich gegen Ungerechtigkeiten aufzulehnen.

• Ihre Fähigkeit zu leiden wird als bewundernswert dargestellt, statt zu hinterfragen, warum sie überhaupt so viel Leid ertragen müssen.

 

Diese Zuschreibung dient nicht der Emanzipation – sondern oft der Aufrechterhaltung von Strukturen, in denen Frauen lernen, sich selbst zurückzustellen.

 

4. Feminismus bedeutet Wahlfreiheit, nicht Dauerstärke

 

Ein feministischer Blick auf den Begriff zeigt: Stärke sollte keine Pflicht sein.

Emanzipation bedeutet nicht, dass Frauen alles allein bewältigen können müssen – sondern dass sie frei entscheiden dürfen, wann und wie sie stark sein wollen. Dazu gehört auch das Recht, Schwäche zu zeigen, Unterstützung anzunehmen und für die eigenen Bedürfnisse einzustehen.

 

Warum diese Zuschreibung nicht entlastet

 

Vielleicht erkennst du dich in diesen Mustern wieder:

• Du hast gelernt, dass du stark sein musst, weil es keine Alternative gab.

• Du hast Verantwortung übernommen, weil niemand anderes es getan hat.

• Du hast erfahren, dass es leichter ist, deine eigenen Bedürfnisse zurückzustellen, als sie immer wieder überhört zu sehen.

 

Doch bedeutet das wirklich, dass du eine starke Frau bist – oder dass du gelernt hast, dich selbst zu schützen, weil es niemand sonst getan hat?

 

Wie könnte eine neue Definition von Stärke aussehen?

 

Anstatt Stärke mit Leidensfähigkeit gleichzusetzen, könnten wir Stärke neu denken:

Stärke bedeutet, Hilfe anzunehmen, wenn sie gebraucht wird.

Stärke bedeutet, Grenzen zu setzen, anstatt sich immer weiter zu verausgaben.

Stärke bedeutet, über Verletzungen zu sprechen, statt sie allein zu tragen.

Stärke bedeutet, nicht nur unabhängig zu sein, sondern auch Nähe zuzulassen.

 

Vielleicht ist eine wichtige Reflexion:

Wo in meinem Leben bin ich stark, weil ich es möchte – und wo, weil ich keine andere Wahl habe?

Wie könnte ich mir erlauben, weniger stark sein zu müssen?

 

Fazit: Stärke als Konstruktion hinterfragen

 

Die Bezeichnung „starke Frau“ mag als Anerkennung gemeint sein – doch oft ist sie mehr Bürde als Lob. Sie wird zur Erwartung, die Frauen in Rollen drängt, die wenig Raum für echte Selbstbestimmung lassen.

 

Doch wahre Stärke bedeutet nicht, alles allein durchstehen zu müssen. Sie bedeutet, selbst zu entscheiden, wann es Zeit ist, stark zu sein – und wann nicht. Sie bedeutet, sich von alten Erwartungen zu lösen und sich die Erlaubnis zu geben, nicht immer kämpfen zu müssen.

 

Denn Stärke ist nicht der Maßstab für den Wert einer Frau. Ihre Menschlichkeit ist es.

 

 
 
 

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©2024 Sarah Walther

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