Hape Kerkeling öffnet in seinem neuen Buch „Gebt mir etwas Zeit“ das Tor zu seiner Familiengeschichte. Er beschreibt, wie das Eintauchen in die Ahnenforschung ihn näher an die verborgenen Stränge seiner Identität brachte – ein Prozess, der zu Einsichten führte, die weit über bloße Fakten hinausgehen. Kerkeling erzählt von der Begegnung mit der Geschichte seiner Großmutter und einer möglichen Verbindung zu König Edward VII., eine Entdeckung, die eine unsichtbare Brücke in die Vergangenheit schlägt und aufzeigt, wie weitreichend die Einflüsse unserer Vorfahren sein können.
Diese Erfahrungen, die Hape Kerkeling in seinem Buch schildert, bieten einen spannenden Impuls für die Genogrammarbeit, die ich in meiner Arbeit als systemische Therapeutin einsetze. Denn was Kerkeling durch seine Ahnenforschung beschreibt, zeigt auf eindrückliche Weise, was die Beschäftigung mit den eigenen Wurzeln für unser Leben und Selbstverständnis bedeuten kann. Die Genogrammarbeit ist dabei kein starres Werkzeug, sondern ein Weg, um tiefere Einblicke zu gewinnen – besonders dann, wenn Klient*innen ein Gefühl der Unruhe oder der unklaren Belastung in sich tragen, ohne die genaue Ursache benennen zu können.
Genogrammarbeit: Unsichtbares sichtbar machen
Ein Genogramm geht über den Stammbaum hinaus. Es ist eine Landkarte, die Beziehungen, emotionale Bindungen und generationsübergreifende Muster aufzeigt und veranschaulicht. Oft zeigt sich erst im therapeutischen Prozess, dass es ein zugrunde liegendes, oft diffuses Gefühl gibt – eine Art „schwarzes Loch“, wie Kerkeling es nennt – das sich schwer greifen lässt. Die Genogrammarbeit setzt hier an und hilft, unbewusste Belastungen und Muster sichtbar zu machen.
Häufig treten dabei Fragen auf, die wir zunächst nur schwer beantworten können: Warum habe ich das Gefühl, immer für andere da sein zu müssen? Wieso wiederhole ich bestimmte Beziehungsmuster, obwohl sie mich unglücklich machen? Oder warum lastet eine unbestimmte Schwere auf mir, obwohl es mir objektiv betrachtet gut gehen sollte? Die Genogrammarbeit kann diese unterschwelligen Themen beleuchten, indem sie einen Blick auf die Ursprünge wirft: auf Überzeugungen, Erwartungen oder Ängste, die über Generationen hinweg weitergegeben wurden, oft ohne, dass wir uns dessen bewusst sind.
Warum ist das Genogramm in der systemischen Therapie so wertvoll?
Die systemische Genogrammarbeit öffnet Türen zu tieferen Schichten unseres Erlebens, die uns in anderen Zusammenhängen verborgen bleiben. Sie ist besonders hilfreich, wenn Klient*innen sich in sich wiederholenden Mustern verstrickt fühlen, wie zum Beispiel bei immer wiederkehrenden Konflikten, bestimmten Rollen, die sie in der Familie oder im Beruf einnehmen, oder Ängsten, die sich scheinbar grundlos in ihrem Leben festgesetzt haben.
In der Therapie können durch die Genogrammarbeit emotionale Knotenpunkte aufgedeckt werden, die oft zu Aha-Momenten führen. Es wird sichtbar, wie eine Last, die man selbst nur diffus spürt, Teil einer längeren Familiengeschichte ist. Vielleicht erkennt man, dass man nicht der oder die Einzige ist, die eine bestimmte Verhaltensweise zeigt, sondern dass es sich um ein Muster handelt, das in der Familie schon seit Generationen präsent ist. Das Verstehen dieser Zusammenhänge eröffnet neue Wege zur Veränderung, weil sich plötzlich alternative Handlungsspielräume auftun, die vorher nicht greifbar waren.
Einblicke und Transformation
In meiner Arbeit mit dem Genogramm unterstütze ich Klient*innen dabei, sich dieser oft subtilen Verstrickungen bewusst zu werden. Gemeinsam beleuchten wir, woher bestimmte Überzeugungen oder Erwartungen stammen und wie sie sich heute auswirken. So wird die Genogrammarbeit zu einem Werkzeug, das nicht nur Erkenntnisse über die Vergangenheit ermöglicht, sondern auch zur Transformation in der Gegenwart beiträgt. Sie hilft, familiäre Verbindungen neu zu betrachten und unbewusste Einflüsse aufzulösen, die das eigene Leben prägen.
Die Beschäftigung mit der eigenen Familiengeschichte, sei es durch Ahnenforschung oder durch die therapeutische Arbeit im Genogramm, schafft Lichtblicke, die sich wohltuend auf das Selbstverständnis und die persönliche Entwicklung auswirken können. Durch diesen Prozess entsteht nicht nur Verständnis für die eigene Geschichte, sondern auch eine neue Freiheit, die eigenen Wege zu gehen – losgelöst von den Altlasten vergangener Generationen
Du hast Fragen oder bist neugierig geworden? Du möchtest noch mehr wissen? Dann schreib mir gern!
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